Kreis Olpe. Die Familie Schnabel hat Zuwachs bekommen. Nach zweimonatiger Flucht mit einigen Zwischenstopps, unter anderem in Kreissporthalle in Olpe und in der zentralen Unterbringungseinrichtung in Kreuztal-Kredenbach, können Safiullah Amini und Mohammad Adries Ahamdi endlich wieder ruhiger schlafen. Die zwei 17-jährigen Flüchtlinge aus Afghanistan haben seit Februar 2016 in der Siegener Gastfamilie Schnabel vorerst ihr neues Zuhause gefunden. Die Gasteltern Karl-Wilhelm und Maike Schnabel werden vom Pflegekinderdienst „Viento“ unterstützt, der seinen Hauptsitz in Olpe hat und Nebenstellen in Attendorn und Lennestadt unterhält.
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Herr Schnabel, welche Gründe hat sie dazu bewogen, sich mit ihrer Frau zur Aufnahme von zwei minderjährigen Flüchtlingen zu entscheiden?
Karl-Wilhelm Schnabel: Meine Frau und ich haben uns eher überlegt, was gibt es für Gründe, keine Flüchtlinge aufzunehmen. Außerdem haben wir uns gefragt, was wir uns in solch einer Situation wünschen würden, doch auch, dass uns jemand hilft. Was du willst, das man dir tut, das tue auch du anderen. Und dann ist da noch das Gebot der Nächstenliebe, das uns wichtig ist. Wir wollten nicht nur davon reden, sondern auch danach handeln.
Frau Schnabel, Sie haben drei Töchter im Alter zwischen zwei und sechs Jahren. Gab es im Vorfeld keine Bedenken, gerade zwei männliche Jugendliche mit in ihren Haushalt aufzunehmen?
Maike Schnabel: Da mein Mann und ich uns bereits ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagiert hatten, kannten wir bereits einige Jugendliche. Bei Safi und Mohammad hatten wir gleich das Gefühl, dass sie gut in unsere Familie passen könnten. Mehrere Treffen im Vorfeld mit den beiden und unserer Familie verfestigten diesen positiven Eindruck. Außerdem haben beide selbst jüngere Schwestern in ihrem Heimatland und sind das Zusammenleben und den Umgang mit Mädchen gewohnt. Unsere Töchter empfinden ihre zwei großen „Brüder“ als Bereicherung. Sie freuen sich fast genauso, wenn Mohammad und Safi aus der Schule nach Hause kommen, wie auf meinen Mann, wenn dieser von der Arbeit kommt.
Welchen neuen Aufgaben in der Rolle als Gasteltern stehen sie seit Februar gegenüber?
Karl-Wilhelm Schnabel: Wir sehen uns als Wegbegleiter der Jugendlichen in einer für sie noch fremden Gesellschaft, in der fast alles neu ist und es sehr viel zu lernen gibt. Zum Beispiel die Frage des Umgangs mit Anderen. Wir haben ihnen erklärt und gezeigt, wie man sich in Deutschland begrüßt und verabschiedet. Man gibt sich die Hand und nimmt Blickkontakt auf. Oder der Bereich Hygieneverhalten. Dass wir uns nach dem Sport duschen und die schmutzige Wäsche anschließend in die Waschmaschine räumen. Auch viele Selbstverständlichkeiten im Haushalt waren für die Beiden fremd. So lief einmal das Waschbecken über, weil nicht bekannt war, wie man den Stöpsel lösen kann. Neben diesen ganz pragmatisch zu regelnden Situationen haben wir direkt am Anfang deutlich gemacht, von welchen Wertvorstellungen unser Zusammenleben und auch unsere Gesellschaft geprägt ist. Als Unterstützer der Jugendlichen auf ihrem Weg in ein gelingendes Erwachsenenleben ist es uns wichtig, dass sie lernen, ihren Tagesablauf selbstständig zu organisieren oder auch im Alltag bei allem mit anzupacken beim Tisch decken und abräumen, spülen oder Ordnung und Sauberkeit in ihren Zimmern zu halten. Auf diese Weise geschieht Lernen. Auch haben wir von Anfang an klar gemacht, dass meine Frau und ich gleichrangig sind und ihr Wort genauso viel zählt wie meines.
Welche neuen Herausforderungen sind durch den Familienzuwachs auf sie zugekommen?
Maike Schnabel: Auf der praktischen Ebene habe ich durch zwei zusätzliche erwachsene Esser täglich viel größere Kochmengen zu verarbeiten. Dann gibt es durch zwei weitere Personen auch ein Mehr an spontanen und feststehenden Terminen, die organisiert und zum Teil begleitet werden müssen. Außerdem fiel uns schnell auf, dass unser Fünfsitzer für einen Familienausflug nicht ausreicht. Nun sind wir zurzeit dabei, Ausschau nach einem Siebensitzer zu halten.
Karl-Wilhelm Schnabel: Man muss insgesamt viel Eigenengagement zeigen, um Dinge auf den Weg zu bringen, die für die Jugendlichen wichtig sind. Viele Institutionen sind noch durch die neue Situation überlastet und überfordert. Es fehlen routinierte Wege, man erlebt, dass die Zuständigen sich bemühen, aber auch häufig nicht wissen, welcher der nächste Schritt ist. Dadurch können wichtige Prozesse manchmal zu lange dauern. An diesen Stellen muss man sich hinter klemmen, sich selbst informieren und versuchen, die Dinge voran zu bringen. Es gibt keinen Masterplan. Man hangelt sich von Tag zu Tag. Schwer ist, wenn Safi und Mohammad mental hin und wieder abstürzen. Man weiß dann oft nicht, wie man reagieren muss. In solchen Situationen versuchen wir, den Blick der Beiden nach vorne zu lenken. Was ich beeinflussen kann, das versuche ich dann den beiden zu vermitteln. Nach einem schlechten Tag kommt auch wieder ein guter. So wie im Fußball – nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Besonders Elemente und Gedanken aus unserem christlichen Glauben geben Kraft und können den beiden Jungs, die in einer moslemischen Gesellschaft groß geworden sind, in dunklen Stunden Trost und Zuversicht spenden.
Eines der bedeutenden Ziele für Flüchtlinge in Deutschland stellt die Integration dar. Was sehen sie für Faktoren, die Safiullah und Mohammad ihre Integration in Siegen erleichtern?
Maike Schnabel: Beide Jungs sind sehr ehrgeizig und fleißig. Sie wollen unbedingt schnell die deutsche Sprache lernen und ergreifen jede Situation, um ihren Wortschatz und die Grammatik zu verbessern. Mittlerweile kann man sich mit beiden schon sehr gut auf Deutsch unterhalten. Fehlende Sprachbarrieren sind sicher ein wichtiger Punkt, um sich integrieren zu können. Außerdem sind beide sehr kontaktfreudig und interessiert am Zusammen sein mit Deutschen. Sie gehen auf die Menschen in ihrem Umfeld zu, und das auf eine sehr nette Art und Weise. Aber auch ihr neues Lebensumfeld begegnet beiden mit einer großen Offenheit. Die Lehrer ihrer Schule haben beide Jungs von Anfang sehr engagiert unterstützt. Die Mitschüler und die Jugendlichen beim Sport zum Beispiel hatten keine Vorbehalte, so dass nach bereits einigen Wochen schon erste Freundschaften entstehen konnten. Zudem haben die beiden tolle Eigenschaften von denen wir und besonders Jugendliche hier in unserem Land etwas lernen können. Zum Beispiel ihre Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft im Umgang mit älteren Menschen fallen besonders bei den Beiden auf.
Was erleben sie als Bereicherung durch ihren Familienzuwachs?
Maike Schnabel: Der Familienalltag ist viel intensiver und besonders geworden. So trifft man sich zu den Mahlzeiten nicht nur, um zu essen. Heute ist es so, dass wir auch nach dem Essen noch länger zusammen sitzen. Wir diskutieren über neue Themen und jeder erzählt mehr von seinem Alltagserleben.
Karl-Wilhelm Schnabel: Oft erzählen die beiden sehr traurige Geschichten aus ihrem Heimatland und der Flucht, aber dann auch sehr lustige Geschichten die Sie erlebt haben. Wir finden es wichtig, dass unsere drei Töchter den Umgang mit andersdenkenden und anders aussehenden Menschen lernen.
Mohammad, was gefällt dir denn an deiner neuen Lebenssituation?
Mohammad Adries Ahamdi: Wenn ich von der Schule zu Schnabels komme, fühle ich mich, als käme ich nach Hause. Das gemeinsame Essen, Sprechen und Spielen, das gefällt mir. Auch, dass die ganze Familie Schnabel hilft, wenn es mal schwierig ist. Die Deutschen sind sehr nett. In der Schule habe ich schon Freunde gefunden und auf der Straße sind die Menschen so freundlich, auch die Polizei. In Afghanistan hatte ich immer Angst. Da ist alles viel schwerer.
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Safi, gibt es etwas, das dich zurzeit sehr besorgt?
Safiuallah Amini: Seit vielen Monaten ist der Kontakt zu meiner Familie unterbrochen. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht- ob sie überhaupt noch leben. Das macht mich sehr, sehr traurig und bringt mir oft Kopfschmerzen, gegen die ich dann Tabletten nehmen muss. Selbst wenn es eine Telefonverbindung geben würde, dürfte ich meine Familie nicht anrufen. Das könnte sich für sie nämlich als lebensgefährlich erweisen, falls die Taliban davon etwas mitbekäme.
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Safiullah und Mohammed, wie seht ihr euer Leben in fünf Jahren?
Mohammad Adries Ahamdi: Ich würde gerne in Siegen bleiben und Wirtschaftsökonomie studieren.
Safiuallah Amini: Ich würde auch gerne in Siegen bleiben, gut deutsch lesen und schreiben können und später Medizin studieren.
VIENTO sucht im Auftrag des Kreises Olpe ständig Gastfamilien, die bereit sind junge minderjährige Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Bei Interesse kontaktieren sie uns.
Tel.: 02761-8368-1631, Mail: pkd-viento@ksd-olpe.de.